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Ein starkes Behindertengleichstellungsgesetz sieht anders ausVernehmlassung zur Teilrevision des BehiG

Bern, 08.12.2023 - Mit berechtigten Hoffnungen haben die Behindertenverbände die Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes erwartet. Nach einer ersten Durchsicht des heute veröffentlichten Entwurfs zeigt sich aber, dass es der Bundesrat verpasst, die drängenden Probleme bei der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen konsequent anzugehen. Aus Sicht von Inclusion Handicap muss dringend nachgebessert werden – ohne umfassende Überarbeitung ist die vorgeschlagene Teilrevision nicht tragbar.

Menschen mit Behinderungen sehen sich täglich mit zahlreichen Barrieren und Benachteiligungen konfrontiert: Sie erfahren auf dem Arbeitsmarkt deutlich häufiger Gewalt und Diskriminierungen und sind nach wie vor einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt als der Rest der Bevölkerung. Auch der erschreckende Stand bei der Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr zeigt, dass ihre Interessen nicht die nötige Priorität erhalten. Dies liegt zum grossen Teil an der unzureichenden Umsetzung der Behindertenrechte in nahezu allen Lebensbereichen.

Die im März 2023 angekündigte Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) gab den Behindertenverbänden die berechtigte Hoffnung, dass der langjährige Ruf nach einer nachhaltigen Stärkung der Behindertenrechte endlich gehört wurde. Die heute präsentierten Vorschläge greifen aber deutlich zu kurz. 

Griffige Massnahmen in mehreren Teilbereichen erforderlich

Die Empfehlungen des UNO-BRK-Ausschusses aus dem Jahr 2022 zeigten der Schweiz die bestehenden Probleme unmissverständlich auf. Mit seinem Gesetzesentwurf anerkennt der Bundesrat zumindest punktuell den Handlungsbedarf: «Nach einer ersten Durchsicht stellen wir jedoch fest, dass der Entwurf nur einen Bruchteil der notwendigen Anpassungen abdeckt», betont Caroline Hess-Klein, Abteilungsleiterin Gleichstellung bei Inclusion Handicap. Tatsächliche Gleichstellung erfordert beispielsweise die Gewährleistung der freien Wahl der Wohnform und die Bereitstellung von Hilfestellungen und Assistenz, damit betroffene Menschen möglichst selbstbestimmt leben können. Zudem ist es unverständlich, dass im Entwurf keine neuen Regulierungsschritte für die verfehlte Umsetzung der Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr vorgesehen sind. Will der Bundesrat die Rechte von Menschen mit Behinderungen wirklich stärken, sind nun griffige Massnahmen erforderlich. 

Angekündigte Verbesserungen weitgehend verfehlt

Im Vorfeld hatte der Bundesrat unter anderem die Stärkung des Diskriminierungsschutzes in privaten Arbeitsverhältnissen angekündigt. Bisher enthielt das BehiG lediglich Bestimmungen für den Bund als Arbeitgeber. Private Unternehmen sollten zudem verpflichtet werden, ihre Dienstleistungen an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen anzupassen – bislang waren Menschen mit Behinderungen im privaten Bereich nur vor böswilliger und absichtlicher Ausgrenzung geschützt. So löblich die Absicht diesbezüglich ist: Die vorgeschlagenen Massnahmen zur Verbesserung des Diskriminierungsschutzes überzeugen nicht. 

Schenkt Bundesrat Stimmen der Betroffenen Gehör?

Im Gegensatz zu den Kantonen bei der Erarbeitung ihrer Behindertengleichstellungsgesetze hat der Bund darauf verzichtet, Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände miteinzubeziehen. Dies wäre jedoch notwendig, um wirkungsvolle gesetzliche Massnahmen gegen die Diskriminierungen zu ergreifen, die Menschen mit Behinderungen tagtäglich erfahren. Inclusion Handicap wird den Entwurf nun eingehend prüfen und im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens konkrete Anpassungsvorschläge unterbreiten. Der Dachverband der Behindertenorganisationen erwartet, dass die Stimmen der 1.7 Millionen Menschen mit Behinderungen in der Schweiz, bei der Überarbeitung «ihres» Gesetzes einbezogen und gehört werden.

Inklusions-Initiative gibt Rückendeckung

Die aktuelle Revisionsrunde zeigt es deutlich auf: Es braucht eine klare Verpflichtung der Gesetzgeber von Bund und Kantonen. «Wir sind enttäuscht über diesen schwachen Entwurf: Er zeigt, wie wichtig die im April 2023 lancierte Inklusions-Initiative ist, um die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen mit der nötigen Kraft voranzutreiben», so Maya Graf, Co-Präsidentin von Inclusion Handicap. Die Inklusions-Initiative will die tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen und über alle Gesetzesebenen hinweg sicherstellen.

Auskunft

Maya Graf, Co-Präsidentin von Inclusion Handicap und Ständerätin Grüne, BL
079 778 85 71

Caroline Hess-Klein, Leiterin Abteilung Gleichstellung Inclusion Handicap
076 379 94 72 /