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Medizinische Gutachten bei der IV

Oft ordnet die IV ein medizinisches Gutachten an, um einen Anspruch auf Ausrichtung von IV-Leistungen abzuklären. Es ist daher von grösster Bedeutung, dass diese Gutachten von hoher Qualität sind und durch unabhängige Fachpersonen erstellt werden. Auch sollte die Qualität der Gutachten regelmässig überprüft werden. In der Vergangenheit hat sich jedoch gezeigt, dass gute Qualität vielfach nicht gewährleistet ist. Berichte werden kopiert, der Inhalt ist tendenziös oder medizinische Standards werden nicht eingehalten. Inclusion Handicap hat im Zusammenhang mit IV-Gutachten Ende Februar 2020 eine Meldestelle eingerichtet. Am 1.1.2022 sind neue Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen in Kraft getreten, die Verbesserungen bringen sollen.

Die IV holt in vielen Fällen externe medizinische Gutachten ein, um abzuklären, wie hoch die Arbeitsfähigkeit einer versicherten Person ist. Dementsprechend kommt den Gutachten ein hoher Stellenwert zu: Die Gutachterinnen und Gutachter entscheiden faktisch, ob, und wenn ja, welche IV-Rente jemand erhält. Denn: Im Zweifelsfalle stützen sich die Gerichte meist auf die externen Gutachten und nicht auf die Berichte der behandelnden Ärzte. Externe Gutachten gelten für die Gerichte als objektiver.

Es gibt aber einige Hinweise, dass die Objektivität und Unabhängigkeit der Gutachter nicht immer garantiert ist: Immer wieder erhalten dieselben Gutachterinnen und Gutachter von der IV Aufträge in Millionenhöhe zugeschanzt. Als «Gegenleistung» schätzen diese die Arbeitsfähigkeit der Versicherten systematisch zu hoch ein. Mehrere derartige Fälle wurden publik. Kommt hinzu, dass das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) bis Ende 2020 zumindest mit einigen IV-Stellen Zielvereinbarungen abgeschlossen hatte, damit die Anzahl ausbezahlter Renten und somit die Kosten gesenkt werden oder zumindest nicht steigen sollen. Im Anschluss an eine Analyse der Aufsicht (externer Link) über die IV-Stellen wurden diese Quotenziele inzwischen aufgehoben.

Was geschah in der Politik?

  • Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben aufgrund der medialen Berichterstattung zahlreiche Interpellationen eingereicht.
  • Bundesrat Alain Berset reagierte auf die Missstände und veranlasste Ende 2019 eine externe Untersuchung. Der Expertenbericht (externer Link) zur vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) in Auftrag gegebenen «Evaluation der medizinischen Begutachtung in der Invalidenversicherung» wurde im Herbst 2020 veröffentlicht und enthält zahlreiche Empfehlungen zu Verbesserungen.
  • Im Rahmen der IV-Weiterentwicklung hatte das Parlament schon im Sommer 2020 einige Verbesserungen beschlossen. Diese traten am 1.1.2022 in Kraft. So werden künftig die Gespräche zwischen Gutachterin und versicherter Person mit Tonaufnahmen dokumentiert. Dies soll u.a. garantieren, dass sich der Gutachter an die medizinischen Standards hält. Weiter werden die IV-Stellen mittels Listen darlegen müssen, welche Gutachter wie viele Gutachten verfassen und welche Arbeitsunfähigkeiten sie attestieren. Zudem wird eine paritätisch zusammengesetzte ausserparlamentarische Kommission zur Qualitätssicherung eingesetzt. Die Patienten- und Behindertenorganisationen haben darin zwei der insgesamt dreizehn Sitze.

Aus der Sicht von Inclusion Handicap wurden die im Expertenbericht (externer Link) festgehaltenen Empfehlungen zum Einigungsverfahren bei monodisziplinären IV-Gutachten – trotz anderslautender Antwort des Bundesrats auf die Fragen von Nationalrat Roduit (20.5932 (externer Link) und 21.7269 (externer Link)) – nicht integral übernommen. Nationalrat Roduit hat daher Ende September 2021 eine parlamentarische Initiative (21.498 (externer Link)) eingereicht und fordert darin, die Empfehlungen des Expertenberichts bei der Vergabe von monodisziplinären IV-Gutachten vollständig umzusetzen. Inclusion Handicap unterstützt diesen Vorstoss.

Wie werden die Aufträge zur Erstellung eines IV-Gutachtens vergeben und kann die Gutachterperson, das Gutachtertandem oder das Gutachterinstitut abgelehnt werden?

Für die Vergabe eines Auftrags zur Erstellung eines IV-Gutachtens ist zwischen mono-, bi- und polydisziplinären Gutachten zu unterscheiden. Bei einer monodisziplinären Begutachtung ist nur eine medizinische Fachrichtung involviert, bei bidisziplinären sind es zwei. Bei polydisziplinären Begutachtungen sind mindestens drei Spezialistinnen und Spezialisten involviert, z.B. Psychiatrie, Neurologie, Rheumatologie und Innere Medizin.

Ab 1.1.2022 gibt die IV zusammen mit der Information über die Anordnung eines monodisziplinären Gutachtens gleich die Gutachterperson bekannt. Diese Gutachterperson kann – auch ohne Angabe von Gründen – abgelehnt werden. Daraufhin wird ein Einigungsverfahren durchgeführt, bei dem auch selbst eine Gutachterperson vorgeschlagen werden kann.

Ab 1.1.2022 werden neben polydisziplinären Gutachten auch bidisziplinäre Gutachten per Zufallsprinzip vergeben. Eine Ablehnung des Gutachtertandems oder des Gutachterinstituts ist daher nur bei Vorliegen eines Ausstandgrundes (z.B. Verwandschaftsverhältnis) möglich.

Inclusion Handicap hat Informationen zum Ablauf der Gutachtensvergabe und zum Vorgehen im Falle einer Ablehnung der Gutachterperson bereit gestellt: Hier geht es zur Hilfestellung bei der Zuteilung von IV-Gutachten.