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Handicap und Recht

«Handicap und Recht» ist eine Sammlung juritischer Artikel in den Bereichen Gleichstellungs- und Sozialversicherungsrecht. Inhalt sind die Präsentation und Kommentierung von praxisrelevanten Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsweisungen, ausgewählte Gerichtsurteile sowie Beispiele aus der Beratungstätigkeit.


Handicap und Recht 10/2023: IV - Pauschalabzug von 10% bei der LSE-Tabelle

Die Bemessung des Invaliditätsgrades von Versicherten, bei welchen für das Einkommen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung statistische Werte massgebend sind, bildet die Realität in Zukunft besser ab: Die bisher gestützt auf die Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS) ermittelten hypothetischen Löhne (sogenannte LSE-Tabellen) werden pauschal um 10% reduziert. Der Bundesrat hat eine entsprechende Änderung der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) verabschiedet und per 1.1.2024 in Kraft gesetzt.


Handicap und Recht 09/2023: AHV - Neuerungen in der AHV ab 1.1.2024

Am 1. Januar 2024 tritt die in einer Volksabstimmung angenommene AHV 21 in Kraft. Neben einer leichten Erhöhung der Mehrwertsteuer wird damit das Referenzalter von Frauen und Männern auf 65 Jahre vereinheitlicht und der Altersrücktritt flexibilisiert. Personen mit einer Teil-IV-Rente haben neu ebenfalls die Möglichkeit einen Teil ihrer AHV-Rente aufzuschieben. Zudem wird die Hilflosenentschädigung der AHV bereits nach einer Wartezeit von sechs Monaten (statt bisher ein Jahr) ausgerichtet.


Handicap und Recht 08/2023: IV Hilflosenentschädigung für lebenspraktische Begleitung: Neuanmeldung bei veränderter Wohnsituation

In einem Verfahren betreffend Hilflosenentschädigung für lebenspraktische Begleitung hat das Bundesgericht entschieden: Eine veränderte Wohnsituation kann bei einer früher berücksichtigten Schadenminderungspflicht von im gleichen Haushalt wohnenden Familienangehörigen Grund für eine Neuanmeldung sein. Weiter weist das Bundesgericht darauf hin: Kommt es bei der Einschätzung des Hilfebedarfs zu erheblichen Diskrepanzen zwischen den fachärztlichen Angaben und den Ergebnissen in einem IV-Abklärungsbericht, kommt den Ausführungen der Fachärztinnen und Fachärzte in der Regel mehr Gewicht zu.


Handicap und Recht 07/2023: BVG - Bindungswirkung, Eintritt der massgebenden Arbeitsunfähigkeit, Weiterversicherung nach Art. 26a BVG

In seinem Urteil vom 19. Juli 2023, 9C_381/2022 (externer Link), befasste sich das Bundesgericht mit drei massgebenden Fragen im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Ausrichtung einer Invalidenrente der beruflichen Vorsorge: Bindungswirkung der Feststellungen der IV, Eintritt der für die Zuständigkeit zur Ausrichtung von Invalidenleistungen massgebenden Arbeitsunfähigkeit und Voraussetzungen für die Weiterversicherung im Sinne von Art. 26a BVG. 


Handicap und Recht 06/2023: Keine Leistungspflicht der Invalidenversicherung bei der Finanzierung der Ausbildung für einen unbegleiteten Minderjährigen

In einem Grundsatzentscheid bestätigt das Bundesgericht die Ablehnung des Antrags eines unbegleiteten Minderjährigen auf eine erstmalige berufliche Ausbildung und stützt sich dabei sowohl auf die Bundesverfassung als auch auf das Völkerrecht (9C_592/2021 (externer Link)). Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist für ausländische Versicherte, die eine erstmalige berufliche Ausbildung der Invalidenversicherung in Anspruch nehmen möchten, aber die Voraussetzungen gemäss Art. 6 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3 IVG nicht erfüllen, nicht relevant. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO-BRK) ist für spezifische Leistungen im Bereich der Ausbildung nicht anwendbar.


Handicap und Recht 05/2023: Intensivpflegezuschlag der IV: Keine doppelte Berücksichtigung des altersentsprechenden Hilfebedarfs

Bei der Prüfung des Anspruchs Minderjähriger auf Ausrichtung eines Intensivpflegezuschlags hat die IV abzuklären, ob im Vergleich zu einem gleichaltrigen Kind ohne Behinderung ein Mehrbedarf an Hilfeleistung besteht. Für dessen Ermittlung stellt die IV auf ein Kreisschreiben des Bundesamtes für Sozialversicherungen ab. Dieses enthält neben Zeitwerten für eine altersentsprechende Hilfe für Kinder ohne Behinderung auch anrechenbare Maximalwerte. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug hielt nun in einem rechtskräftigen Urteil fest: Der altersentsprechende Hilfebedarf darf nicht sowohl mittels Reduktion des tatsächlichen Bedarfs auf den Maximalwert als auch zusätzlich durch einen altersentsprechenden Abzug und somit doppelt berücksichtigt werden.


Handicap und Recht 04/2023: IV - Zeitpunkt der Anpassung des Rentenanspruchs an den neuen IV-Grad nach dem Bezug einer Übergangsleistung

Gewährt die IV-Stelle nach einer Herabsetzung oder Aufhebung einer IV-Rente aufgrund einer erneuten Verschlechterung der Arbeitsfähigkeit eine Übergangsleistung, muss sie gleichzeitig den IV-Grad überprüfen und einen Entscheid über den neuen Leistungsanspruch fällen. Gemäss dem Wortlaut des Gesetzes sind die Leistungen auf den ersten Tag des Monats der dem Entscheid folgt anzupassen. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich musste sich mit der Frage auseinandersetzen, ob dieser Zeitpunkt auch dann gilt, wenn dies im Vergleich zu einer Person, die keine Übergangsleistung bezogen hat, zu einer Schlechterstellung führt.


Handicap und Recht 03/2023: EL - Bezug von Ergänzungsleistungen ist kein Grund für den Widerruf einer Niederlassungsbewilligung

In seinem zur Publikation vorgesehenen Urteil vom 27. Dezember 2022 (2C_60/2022 (externer Link)) hat das Bundesgericht entschieden, dass der Bezug von Ergänzungsleistungen keinen Grund darstellt, um einem Ausländer oder eine Ausländerin die Niederlassungsbewilligung zu entziehen. Der Ergänzungsleistungsbezug stellt also keinen Widerrufsgrund dar. Dies selbst dann nicht, wenn vor dem Bezug von Ergänzungsleistungen während einiger Jahre Sozialhilfe bezogen wurde.

Ergänzung vom Juni 2023: Mit Urteil vom 7. Februar 2023 (2C_642/2022) weitete das Bundesgericht seine Rechtsprechung vom 27. Dezember 2022 auch auf Aufenthaltsbewilligungen aus. Es hielt fest, dass ein Ergänzungsleistungsbezug auch keinen Grund darstellt, um einem Ausländer oder einer Ausländerin die Aufenthaltsbewilligung zu entziehen.


Handicap und Recht 02/2023: Entscheid zum Nachteilsausgleich auf Stufe Passarelle Berufs-Maturität

Eine kantonale Bildungsdirektion hat sich zu Nachteilsausgleichsmassnahmen im Rahmen einer Narkolepsie geäussert. Es ging um die Dauer des Zeitzuschlags und um Schlafpausen. Dies auch in Zusammenhang mit der Frage der allgemeinen Hochschulreife und Studierfähigkeit. Eine von Inclusion Handicap unterstützte Beschwerde gegen den negativen Entscheid der Vorinstanz ist von der kantonalen Bildungsdirektion gutgeheissen worden.


Handicap und Recht 01/2023: IV - Eingliederungsmassnahmen bei Rentenzusprache mit zeitgleicher Abstufung oder Befristung

Bei einer revisionsweisen Herabsetzung oder Aufhebung der IV-Rente sind nach mindestens 15 Jahren Rentenbezug oder Erreichung des 55. Altersjahrs grundsätzlich vorgängig Eingliederungsmassnahmen durchzuführen. Mit Urteil vom 6. Juni 2019 (BGE 145 V 209 (externer Link)) entschied das Bundesgericht, dass diese Rechtsprechung auch dann zur Anwendung kommt, wenn zeitgleich mit der Zusprache der IV-Rente auch über deren Abstufung und / oder Befristung entschieden wird. Nun klärte das Bundesgericht auch noch den Zeitpunkt, in dem eine versicherte Person das 55. Altersjahr erreicht haben muss, damit dies der Fall ist. Gemäss Urteil vom 27. Juni 2022 (BGE 148 V 321 (externer Link)) ist hierfür der Verfügungszeitpunkt massgebend.


Handicap und Recht 09/2022: IV: Erstmalige berufliche Ausbildung – bei Autismus-Spektrum-Störung ist auch (Nischen-) Arbeitsmarkt zu berücksichtigen

Mit Urteil vom 12.9.2022 (9C_131/2022 (externer Link)) hält das Bundesgericht fest: Bei der Prüfung der Übernahme von behinderungsbedingten Mehrkosten im Rahmen einer erstmaligen beruflichen Ausbildung von Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ist nicht nur der breite Arbeitsmarkt massgebend, der grösstenteils nicht auf ihre Einschränkungen und besonderen Bedürfnisse ausgerichtet ist. Zu berücksichtigen ist auch der für sie existierende besondere (Nischen-) Arbeitsmarkt. Gemäss Bundesgericht ist es gerichtsnotorisch, dass Personen mit Autismus-Spektrum-Störung in bestimmten Bereichen des freien Arbeitsmarktes überaus gute Chancen hätten, sich beruflich zu etablieren.


Handicap und Recht 08/2022: IV: Assistenzbeitrag – Abklärungsinstrument FAKT2 im Bereich «Erziehung und Kinderbetreuung» ungenügend

In einem Leitentscheid aus dem Jahre 2014, BGE 140 V 543 (externer Link), hatte das Bundesgericht festgehalten, dass das Abklärungsinstrument FAKT2 grundsätzlich ein geeignetes Instrument zur Ermittlung des Assistenzbedarfs ist. In seinem Urteil vom 6.9.2022, 9C_538/2021 (externer Link), relativiert und präzisiert das Bundesgericht diese Rechtsprechung nun aber. Es kommt zum Schluss, dass das FAKT2 für die Ermittlung des Hilfebedarfs im Bereich «Erziehung und Kinderbetreuung» nicht geeignet ist.


Handicap und Recht 07/2022: Hörgeräte für die erstmalige berufliche Ausbildung: Verwaltungsgericht bestätigt Anspruch

Hörgeräte sind von der IV nicht nur als Hilfsmittel im Rahmen der vom EDI erlassenen Hilfsmittelliste zu vergüten, sondern gelten auch als behinderungsbedingte Mehrkosten einer erstmaligen beruflichen Ausbildung, sofern die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess eine Beschwerde gut, welche die Kostenübernahme neuer Hörgeräte verlangte, die für die Ausbildung des Beschwerdeführers B. erforderlich waren. Wird ein Hilfsmittelanspruch verneint, schliesst dies eine Übernahme derselben Kosten unter dem Titel der behinderungsbedingten Mehrkosten im Rahmen der erstmaligen beruflichen Ausbildung nicht aus, hielt das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 2. August 2022 (200 22 262 IV) fest.


Handicap und Recht 06/2022: Eidgenössische Berufsprüfungen - Kostenlosigkeit des Beschwerdeverfahrens nach Art. 10 BehiG

Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) ist auf eine Beschwerde gegen eine eidgenössische Berufsprüfung wegen verspäteter Zahlung des Kostenvorschusses zu Unrecht nicht eingetreten. Das Bundesverwaltungsgericht kommt zum Schluss: Das SBFI hätte aufgrund Kostenlosigkeit des Verfahrens nach Art. 10 BehiG gar keinen Kostenvorschuss erheben dürfen (Urteil des BVGer B-4164/2021 vom 4. Mai 2022 (externer Link)).


Handicap und Recht 05/2022: IV - Keine Praxisänderung bei der Invaliditätsbemessung anhand der LSE-Tabellenlöhne

Das Bundesgericht hatte am 9.3.2022, 8C_256/2021 (externer Link), einen Fall zu beurteilen, auf den die bis 31.12.2021 geltenden Bestimmungen des Invalidenversicherungsgesetzes (IVG) und der Invalidenversicherungsverordnung (IVV) anzuwenden waren. In seinem Urteil lehnte das Bundesgericht eine Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach der Invaliditätsgrad anhand der Tabellenlöhne der Lohnstrukturerhebung (LSE) ermittelt wird, ab.


Handicap und Recht 04/2022: IV-Rentenbeginn - Rentenanspruch entsteht erst nach Beendigung von Eingliederungsmassnahmen

Mit Urteil vom 31. Januar 2022, 9C_380/2021 (externer Link), präzisiert das Bundesgericht seine Rechtsprechung zum Rentenbeginn: Der Rentenanspruch entsteht erst nach Beendigung der Eingliederungsmassnahmen. Dies gilt auch in Bezug auf Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung wie insbesondere ein Aufbautraining. Es gilt zudem selbst dann, wenn diese Massnahmen nur teilweise erfolgreich waren oder gar scheiterten.  


Handicap und Recht 03/2022: Verweigerung der Zulassung zu einer öffentlichen Bildungsinstitution wegen Behinderung

Die Schulleitung einer Oberstufenschule hat einen Schüler mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) nicht für den prüfungsfreien Übertritt ins Gymnasium empfohlen. Dies obwohl sie ihm in Bezug auf seine fachlichen Kompetenzen in allen vier relevanten Fächern eine Empfehlung abgegeben hat. Sie war jedoch der Ansicht, dass seine methodischen und personalen Kompetenzen in allen vier relevanten Fächern nicht ausreichend seien. Eine von Inclusion Handicap unterstützte Beschwerde gegen diesen Entscheid ist von der kantonalen Bildungsdirektion gutgeheissen worden. 


Handicap und Recht 02/2022: Bundesgericht bestätigt die Finanzierung von Dienstleistungen Dritter auf Monatsbasis

Artikel 9 Absatz 2 HVI sieht insbesondere vor, dass die monatliche Vergütung von Dienstleistungen Dritter den Betrag des monatlichen Bruttoerwerbseinkommens nicht übersteigen darf. Das Abstellen auf eine monatliche Vergütung garantiert den engen Bezug zwischen der Leistung, die den Versicherten für die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit gewährt wird, und dem sich unmittelbar daraus ergebenden Einkommen. Mit Urteil vom 28. Mai 2021 kommt das Bundesgericht zum Schluss: Für selbständig erwerbende Versicherte besteht insofern keine Lücke (BGE 147 V 242 (externer Link)).


Handicap und Recht 01/2022: EL-Rückforderungen - Erlassgesuch erstreckt sich auf EL-Betrag für die Krankenkassenprämien

Nachzahlungen anderer Sozialversicherer führen zur Rückforderung von Ergänzungsleistungen. Empfing die versicherte Person die Ergänzungsleistungen in gutem Glauben und bedeutet deren Rückerstattung für sie finanziell eine grosse Härte, kann sie ein Erlassgesuch stellen. In einem Urteil vom 20. Juli 2021 (147 V 369 (externer Link)) hat das Bundesgericht entschieden: Die EL-Stelle hat dabei auch über den Erlass der zur Finanzierung der Krankenkassenprämien ausgerichteten Ergänzungsleistungen zu entscheiden.


Handicap und Recht 11/2021: Was ändert sich mit der Weiterentwicklung der IV?

Am 1. Januar 2022 treten die Änderungen der Weiterentwicklung der IV in Kraft. Nachfolgend wird das stufenlose Rentensystem in der IV und in der obligatorischen beruflichen Vorsorge aufgezeigt. Es wird dargelegt, wen das neue Rentensystem betrifft und für wen weiterhin das alte Recht und somit auch die bisherigen vier Rentenstufen gelten. Zudem werden die wichtigsten Neuerungen bei den beruflichen Eingliederungsmassnahmen, beim IV-Taggeld in der erstmaligen beruflichen Ausbildung, bei den medizinischen Massnahmen, bei den Geburtsgebrechen und bei den medizinischen Gutachten vorgestellt.


Handicap und Recht 10/2021: Anwendung der ab 1. Juli 2020 geltenden Fassung der HVI

Die Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die IV (HVI) wurde auf den 1. Juli 2020 geändert. Es stellte sich die Frage, in welchen Fällen die «alten» HVI-Bestimmungen anzuwenden sind und in welchen Fällen die HVI in der ab 1. Juli 2020 geltenden Fassung. Das Bundesgericht hat diesbezüglich Klarheit geschaffen: Für alle Anträge, über die erstmals nach dem 1. Juli 2020 eine Verfügung erlassen wird, gilt die HVI in der Fassung vom 1. Juli 2020.


Handicap und Recht 09/2021: Änderung der Gerichtspraxis zu Suchterkrankungen bildet keinen Revisionsgrund

Mit Urteil vom 11. Juli 2019 änderte das Bundesgericht seine Rechtsprechung zu Abhängigkeitssyndromen (BGE 145 V 215). Diese Änderung der Gerichtspraxis stellt laut Urteil vom 7. Juni 2021, 147 V 234, keinen Revisionsgrund dar. Betroffene Personen, die aufgrund der früheren Gerichtspraxis eine ablehnende Verfügung der IV erhielten, können sich nicht allein auf die Änderung der Rechtsprechung berufen, damit ihr Anspruch auf IV-Leistungen aufgrund der geänderten Rechtsprechung geprüft wird.


Handicap und Recht 08/2021: Hilflosenentschädigung der IV

Die gleiche Hilfeleistung kann sowohl unter Dritthilfe bei einer alltäglichen Lebensverrichtung als auch unter lebenspraktische Begleitung fallen, sie darf jedoch nicht doppelt berücksichtigt werden. Geht die erforderliche Hilfeleistung über die Bewältigung des Alltags im Sinne der lebenspraktischen Begleitung hinaus, ist sie bei der alltäglichen Lebensverrichtung zu berücksichtigen.


Handicap und Recht 07/2021: Frühpensionierung in der beruflichen Vorsorge

In zwei Urteilen hat das Bundesgericht Fragen im Zusammenhang mit der Frühpensionierung geklärt. Im Urteil vom 26. März 2021 (9C_732/2020 (externer Link)) ging es darum, ob sich eine Person auch für eine Frühpensionierung entscheiden kann, wenn der Vorsorgefall «Invalidität» bereits eingetreten ist. Im zur Publikation vorgesehenen Urteil vom 15. Juni 2021 (8C_721/2020 (externer Link)) änderte das Bundesgericht seine langjährige Gerichtspraxis. Es dehnte den Anwendungsbereich der unfreiwilligen Frühpensionierung auf Personen aus, die nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus anderen unverschuldeten Gründen entlassen wurden und sich frühpensionieren liessen.


Handicap und Recht 06/2021: Erster Schweizer Rekrut im Rollstuhl

Nach einem Beschwerdeverfahren gegen eine Militärdienstuntauglichkeitserklärung räumt die Schweizer Armee einem dienstwilligen Mann im Rollstuhl erstmals die Möglichkeit ein, die Rekrutenschule zu absolvieren. Der Chefarzt des Rekrutierungszentrums hatte den Stellungspflichtigen für militär- und zivildienstuntauglich befunden, ohne zumindest die üblichen Tauglichkeitsabklärungen vorzunehmen. Die Schweizer Armee anerkannte schliesslich seine Militärdiensttauglichkeit im Rahmen eines seinen Fähigkeiten angepassten Sonderdienstes.


Handicap und Recht 05/2021: EL-Reform: Rückerstattung und Besitzstand

Rechtmässig bezogene Ergänzungsleistungen sind nur im Todesfall einer EL-beziehenden Person und nur aus deren Nachlass zurückzuerstatten. Diese durch die EL-Reform neu eingeführte Rückerstattungspflicht betrifft aber nur Ergänzungsleistungen, die nach dem 01.01.2021 bezogen wurden. Keine EL-beziehende Person erhält per 01.01.2021 aufgrund der EL-Reform weniger oder gar keine Ergänzungsleistungen mehr. Diese Besitzstandregel gilt während einer Übergangsfrist von drei Jahren.


Handicap und Recht 04/2021: Kurzurlaub für pflegende Angehörige und Betreuungsurlaub für Eltern

Bereits am 1. Januar 2021 sind die Bestimmungen zum Kurzurlaub für pflegende Angehörige in Kraft getreten. Dadurch erhalten Arbeitnehmende von ihren Arbeitgebenden weiterhin den Lohn ausgerichtet, wenn sie ein Familienmitglied oder ihren Lebenspartner bzw. ihre Lebenspartnerin pflegen und betreuen. Per 1. Juli 2021 treten nun auch die Bestimmungen zum Betreuungsurlaub für Eltern in Kraft. Bei Unterbrechung der Erwerbstätigkeit für die Pflege und Betreuung ihrer Kinder können Eltern während maximal 14 Wochen einen über die Erwerbsersatzordnung entschädigten Betreuungsurlaub in Anspruch nehmen.


Handicap und Recht 03/2021: Ausnahmslose Maskentragpflicht verstösst gegen das Behindertengleichstellungsrecht

Eine Abteilung des Kinderspitals Zürich hat sich geweigert, bei einem 14jährigen Jungen mit Asperger-Syndrom ohne Hygienemaske eine Untersuchung durchzuführen. Dies, obwohl der Junge über ein Attest verfügt, das ihn von der Maskentragpflicht befreit. Der Grund: Das Schutzkonzept des Kinderspitals Zürich sieht keine Ausnahmen von der Maskentragpflicht vor. Dies verstösst gegen das Behindertengleichstellungsrecht. Eine erfolgreiche Intervention von Inclusion Handicap hat nun zu einer Anpassung des Schutzkonzepts geführt.


Handicap und Recht 02/2021: Keine Berücksichtigung der geleisteten AHV/IV-Beiträge zwischen erstmaliger Rentenzusprache und Rentenerhöhung

Wird eine Teil-Invalidenrente infolge einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes erhöht, sind bei der Berechnung des neuen höheren Rentenbetrages die gleichen Elemente massgebend wie bei der Berechnung der ursprünglichen Rente. Dazwischen geleistete AHV/IV-Beiträge können nicht berücksichtigt werden. Dies hat das Bundesgericht kürzlich in einem zur Publikation vorgesehenen Urteil bestätigt. Es weist darauf hin, dass es Sache des Gesetzgebers wäre, eine abweichende Regelung vorzusehen.


Handicap und Recht 01/2021: Ausgeglichener Arbeitsmarkt in der IV: Auch eine Arbeitsfähigkeit im Homeoffice ist verwertbar

Laut Bundesgericht ist eine Restarbeitsfähigkeit in einer im Homeoffice auszuübenden Tätigkeit verwertbar. In einem neuen Urteil hält das Bundesgericht fest: Auf dem für die Bestimmung des Invalideneinkommens massgebenden theoretischen ausgeglichenen Arbeitsmarkt existieren im kaufmännischen Bereich diverse Arbeitsstellen, die mehrheitlich im Homeoffice ausgeführt werden können.


Handicap und Recht 14/2020: Bushaltestellen im Problemkanton Freiburg: Erfolgreiche Beschwerde führt zu Praxisänderung

Nach mehr als vier Jahren hat der Rechtsstreit wegen der Bushaltestelle «Briegli» in der Gemeinde Düdingen FR zum Erfolg geführt. Das Kantonsgericht Freiburg hiess die Beschwerde von Inclusion Handicap gegen die Absenkung der Kantenhöhe auf 16 cm vollumfänglich gut und wies die Angelegenheit zwecks neuer Beurteilung an die Raumplanungs-, Umwelt- und Baudirektion (RUBD) zurück. Das Urteil ist ein starkes Signal für die Behindertengleichstellung. Der Kanton Freiburg, bisher ein Problemkind, hat bei den Anpassungen der Bushaltestellen nun eine Praxisänderung angekündigt. 


Handicap und Recht 13/2020: Finanzierung eines Gebärdensprachedolmetschers durch die IV für betrieblich notwendige und interne Schulungen

Kann eine versicherte Person ihren Arbeitsplatz nur behalten, wenn sie an betrieblich notwendigen internen Schulungen teilnimmt, sind die behinderungsbedingten Mehr-kosten dieser Schulung – wie beispielsweise die Kosten für einen Gebärdensprache-dolmetscher – als berufliche Weiterausbildung gemäss Art. 16 Abs. 2 lit. c IVG von der Invalidenversicherung zu finanzieren.


Handicap und Recht 12/2020: Gemischte Methode – Statuswechsel von einer Voll- zu einer Teilerwerbstätigkeit ist ein Revisionsgrund

Das Bundesgericht hat die wohl noch letzte offene Frage zur Anwendung der gemischten Methode auf Teilerwerbstätige geklärt: Die neue Berechnungsweise der gemischten Methode, die seit dem 1.1.2018 gilt, trägt den Anforderungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Di Trizio ausreichend Rechnung. Der Statuswechsel von einer Voll- zu einer Teilerwerbstätigkeit stellt gemäss Bundesgericht somit immer einen Revisionsgrund dar, selbst wenn einzig die Geburt eines Kindes Grund für den Statuswechsel ist.


Handicap und Recht 11/2020: Sozialversicherungen – was ändert sich 2021?

Ab dem 1. Januar 2021 treten diverse Gesetzesanpassungen und -neuerungen in Kraft. Die AHV/IV-Renten und weitere Sozialversicherungsbeträge werden an die Preis- und Lohnentwicklung angepasst, ältere Arbeitslose können sich bei ihrer Pensionskasse weiterversichern, betreuende Angehörige werden bessergestellt und die im Sommer 2019 vom Parlament beschlossene Revision des Allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts tritt in Kraft. 


Handicap und Recht 10/2020: Was ändert sich mit der EL-Reform?

Am 1. Januar 2021 treten die Änderungen in Kraft, die im Rahmen der Reform bei den Ergänzungsleistungen (EL) beschlossen wurden. Inclusion Handicap hat die wichtigsten Änderungen zusammengetragen. Hier vorgestellt werden Neuerungen beim Vermögen, bei der Anrechnung des Einkommens von Ehegatten, bei der Krankenkassenprämie, bei der Senkung der EL-Mindesthöhe, beim Lebensbedarf für Kinder, bei der Rückerstattung aus dem Nachlass sowie bei den Wohnkosten. Zudem wird aufgezeigt, für wen aufgrund der Besitzstandsregelung bis längstens Ende 2023 weiterhin das alte Recht massgebend ist. Die Änderungen werden anhand von diversen Beispielen veranschaulicht.


Handicap und Recht 09/2020: Keine Finanzierung der Hippotherapie bei zerebraler Lähmung durch die obligatorische Krankenversicherung

Die Invalidenversicherung finanziert infolge eines Geburtsgebrechens im Rahmen medizinischer Eingliederungsmassnahmen die Hippotherapie zur Behandlung von zerebralen Lähmungen bis zum Erreichen des 20. Altersjahres. Dies führt aber nicht dazu, dass die Hippotherapie danach durch die obligatorische Krankenversicherung weiterfinanziert wird. Die Hippotherapie stellt auch bei Vorliegen eines Geburtsge-brechens keine therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 52 Abs. 2 KVG bzw. Art. 35 KVV dar, urteilt das Bundesgericht.


Handicap und Recht 08/2020: Familiennachzug für die Ehefrau eines Versicherten, der behinderungsbedingt auf Sozialhilfe angewiesen ist

Das Erstinstanzliche Verwaltungsgericht [Tribunal administratif de première instance (TAPI)] des Kantons Genf hat die Beschwerden eines Mannes, der behinderungsbedingt nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten kann , sowie seiner im Ausland wohnhaften Ehefrau, die zu ihrem Mann in die Schweiz ziehen wollte, gutgeheissen. Das kantonale Amt für Bevölkerung und Migration [Office cantonal de la population et des migrations (OCPM)] hatte das Gesuch um Familiennachzug abgelehnt mit der Begründung, der Ehemann sei auf Sozialhilfe angewiesen. Das TAPI anerkannte jedoch, dass diese Abhängigkeit ausschliesslich auf dem Gesundheitszustand des Mannes beruht und deshalb unbeabsichtigt und unverschuldet ist.


Handicap und Recht 07/2020: Erstmalige Ausbildung, Umschulung und Weiterausbildung

Unter welchen Umständen finanziert die IV eine Ausbildung? Das Gesetz unter-scheidet zwischen einer erstmaligen Ausbildung, einer Umschulung und einer Wei-terausbildung. Dieser Artikel erläutert die Unterschiede. Ein Bundesgerichtsurteil vom Dezember 2019 brachte zusätzliche Klärung.


Handicap und Recht 06/2020: (*)-Hilfsmittel der IV im AHV-Alter – Besitzstandsgarantie auch für Personen mit Aufgabenbereich

Bereits im Jahre 2017 hatte das Bundesgericht entschieden: Wer im IV-Alter für die Ausübung seiner Erwerbstätigkeit ein mit einem (*) gekennzeichnetes Hilfsmittel erhalten hat und nach Erreichen des AHV-Alters weiter in erheblichem Ausmass erwerbstätig ist, hat gestützt auf die Besitzstandsgarantie weiterhin Anspruch auf das von der IV zugesprochene (*)-Hilfsmittel. Doch gilt die Besitzstandsgarantie auch für Personen mit Aufgabenbereich? Nachdem das Bundesgericht im Herbst 2019 gleich dreimal mit dieser Frage konfrontiert war, hat es die Besitzstandsgarantie bejaht.


Handicap und Recht 05/2020: Bilingualer Schulunterricht – Kanton Bern bestätigt Unterstützung in Gebärdensprache

Gehörlose Kinder müssen in der Regelschule mit Gebärdensprache unterstützt wer-den, damit sie gleichberechtigten Zugang zur Bildung erhalten. Der Kanton Bern an-erkennt dies und hiess eine Beschwerde gut, die verlangte, dass Unterstützung in Gebärdensprache zu den sonderpädagogischen Massnahmen gehört.


Handicap und Recht 04/2020: Deutsches Bundesverfassungsgericht mit wegweisendem Urteil – Autonomie muss garantiert sein

Das deutsche Bundesverfassungsgericht gewichtet die Autonomie von Menschen mit Behinderungen ungleich stärker als das Schweizer Bundesgericht. Sein Urteil ist bemerkenswert: Im Urteil geht es um das Recht einer sehbehinderten Frau, mit ihrem Blindenführhund die Räume einer Orthopädiepraxis als Durchgang zu benutzen, um Zugang zu ihrer Physiotherapie zu haben. Das Gericht hat ihre Beschwerde gegen das diesbezügliche Verbot mit dem Verweis auf ihre Autonomie gutgeheissen


Handicap und Recht 03/2020: Bundesgericht gewichtet finanzielle Interessen der Kantone stärker als Niederlassungsfreiheit von Menschen in Heimen

Das Bundesgericht hat die Beschwerde eines Mannes mit einer geistigen und psychischen Behinderung mit Wohnsitz in einem Heim im Kanton Jura ab. Der Betroffene wollte nach Genf umziehen, wo seine Schwester wohnt, die auch seine Beiständin ist. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab: Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sei verhältnismässig, da eine ausserkantonale Platzierung wesentlich teurer zu stehen käme. Dabei trug es den Interessen des Beschwerdeführers, näher bei seiner Schwester zu leben, nicht genügend Rechnung. In der Schweiz ist die Niederlassungsfreiheit von in Heimen lebenden Menschen mit Behinderungen somit nicht wirklich gewährleistet.


Handicap und Recht 02/2020: Urteil des Bundesgerichts zur Bedeutung von Berichten der beruflichen Abklärung

Das Bundesgericht hat sich in seinem Urteil vom 15. Februar 2019, 9C_534/2018 (externer Link), zur Bedeutung von Berichten der beruflichen Abklärungsstellen im Verhältnis zu einem medizinischen Gutachten geäussert. Im konkreten Fall geht es um den IV-Rentenanspruch eines jungen Mannes, den Inclusion Handicap im Beschwerdeverfahren vertreten hat. Das Bundesgericht hat das medizinische Gutachten als nicht beweistauglich erachtet. Es kam zum Schluss, dass sich die Gutachterin nicht genügend mit den Berichten der beruflichen Abklärungsstellen auseinandergesetzt hat.


Handicap und Recht 01/2020: Valideneinkommen bei Personen, die invaliditätsbedingt keine beruflichen Kenntnisse erwerben können

Personen, die wegen einer seit Geburt oder Kindheit bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigung keine zureichenden beruflichen Kenntnisse erwerben können, gelten als Geburts- und Frühinvalide. Ihr für die Prüfung des IV-Rentenanspruchs massgebendes Valideneinkommen richtet sich nach Art. 26 Abs. 1 Invalidenversicherungsverordnung (IVV) und beträgt altersabgestuft jährlich zwischen 58'450 Franken (18-20 Jahre) und 83'500 Franken (über 30 Jahre). In seinem Urteil vom 11. April 2019, 9C_233/2018 (externer Link), hat das Bundesgericht festgehalten, in welchen Konstellationen Art. 26 Abs. 1 IVV zur Anwendung gelangt.


Handicap und Recht 14/2019: Bushaltestelle im Kanton Freiburg – Inclusion Handicap kämpft weiter

Eine neue Bushaltestelle in Düdingen sorgt für rote Köpfe: Die Höhe der Perronkante wurde während der Projektausführung gesenkt, so dass sie nicht dem Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) entspricht. Inclusion Handicap reichte Beschwerde ein, nach Jahren des Wartens hiess sie die entsprechende Kantonsbehörde nur teilweise gut. Die Beschwerde wird weitergezogen: Der autonome Zu- und Ausstieg ist für Menschen mit Behinderungen nicht gewährleistet. Der Fall zeigt: Der Kanton Freiburg ist bei den Anpassungen der Bushaltestellen ein Problemkind.


Handicap und Recht 13/2019: Rechtsprechung zum leidensbedingten Abzug vom Tabellenlohn seit 2014

Wann wird ein leidensbedingter Abzug vom Tabellenlohn vorgenommen? Das Bundesgericht hat in den letzten Jahren zahlreiche Urteile dazu gefällt. Sie werden nachfolgend zusammengefasst und bilden eine Aktualisierung des Überblicks aus «Behinderung und Recht 02/14». Einzelnes persönliches oder berufliches Merkmal ist meist nicht entscheidend für die Gewährung eines Abzugs. Vielmehr wird ein Abzug in Fällen vorgenommen, in denen ein Zusammenspiel aus verschiedenen Merkmalen dazu führt, dass eine gesundheitlich beeinträchtigte Person ihre Restarbeitsfähigkeit selbst auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit einer Lohneinbusse verwerten kann – verglichen mit gesunden Arbeitnehmenden.


Handicap und Recht 12/2019 – Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung: Anpassung des versicherten Verdienstes

Meldet sich eine Person sowohl bei der Invalidenversicherung als auch bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an, besteht bei genügender Vermittlungsfähigkeit eine Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung. Bereits im Sommer 2016 hatte das Bundesgericht festgehalten, wann die Arbeitslosenversicherung den versicherten Verdienst im Grundsatz und im Ausnahmefall anpassen und ihre Leistungen kürzen darf. In einem neuen Urteil hat das Bundesgericht das Vorliegen eines weiteren Ausnahmefalles abgelehnt


Urteil Glaisen vs. Schweiz : Kein Urteil des Europ. Menschenrechtsgerichtshofes über Diskriminierung

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist nicht auf den Fall eines Rollstuhlfahrers eingetreten, dem in Genf der Zutritt ins Kino verweigert wurde. Das Gericht hält an seiner bisherigen Praxis fest und urteilte gar nicht, ob eine Diskriminierung vorliegt oder nicht. Damit bleibt die zu enge Definition des Bundesgerichts zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen bestehen. Letztere bleiben in der Schweiz vor Diskriminierungen bei Dienstleistungen Privater nach wie vor weitgehend schutzlos.


Invaliditätsbemessung bei der gemischten Methode: Keine Rückwirkung

Seit dem 1. Januar 2018 gilt bei der Invaliditätsbemessung die «neue» gemischte Methode. In seinem Urteil vom 3. Dezember 2018 hat das Bundesgericht nun festgehalten, dass sich die neue Bemessungsmethode erst für die Zeit ab dem 1. Januar 2018 auf die Rentenberechnung auswirkt. Dies selbst dann, wenn ein Sachverhalt zu beurteilen ist, der sich bereits im Jahre 2017 verwirklicht hat.


Praxisänderung des Bundesgerichts: IV-Rentenanspruch auch bei Suchterkrankung

Am 11. Juli 2019 hat das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung zum Anspruch auf IV-Leistungen bei Suchterkrankungen geändert: Wie bei anderen psychischen Erkrankungen ist künftig auch bei Personen mit einer Suchterkrankung anhand des «strukturierten Beweisverfahrens» abzuklären, ob sich ihre Abhängigkeit auf ihre Arbeitsfähigkeit auswirkt.


Ergänzungsleistungen: Erhöhung der Mietzinsmaxima und stärkere Berücksichtigung des Vermögens ab 2021

Die vom Parlament verabschiedete Änderung des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) tritt voraussichtlich 2021 in Kraft. Sie bringt die seit langem geforderte Erhöhung der Mietzinsmaxima und des Rollstuhlzuschlags. Im Gegenzug werden u.a. die Beträge für Kinder unter 11 Jahren gesenkt und sowohl das Vermögen als auch das Einkommen von Ehegatten stärker berücksichtigt.


Observationen durch die Sozialversicherungen ab 1. September 2019 wieder möglich

Die vom Parlament verabschiedeten und in der Volksabstimmung angenommenen Gesetzesbestimmungen zur Observation im Bereich der Sozialversicherungen treten am 1. September 2019 in Kraft. Damit besteht nun eine genügende gesetzliche Grundlage für verdeckte Überwachungen von Personen, die Sozialversicherungsleistungen beziehen oder beantragt haben.


Assistenzbeitrag und Kürzung der KVG-Leistungen: Auf die Details kommt es an

Bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Ausrichtung eines Assistenzbeitrages der Invalidenversicherung werden die von der obligatorischen Krankenversicherung übernommenen KVG-Leistungen (Z. B. Spitex-Leistungen) vom anerkannten Hilfebedarf abgezogen. Der Sozialversicherungsgerichtshof des Kantons Fribourg hat in einem wegweisenden Urteil festgestellt: Die für die Betreuung während der Nacht ausgerichteten Spitexleistungen dürfen nur von der für den Assistenzbeitrag massgebenden Nachtpauschale, nicht aber vom Hilfebedarf während des Tages abgezogen werden.


Spitex oder Pflegeheim? Zur Frage der Wirtschaftlichkeit der Spitex-Pflege im Vergleich zum Pflegeheim

Die obligatorische Krankenversicherung übernimmt nur Leistungen, die wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind. Bis wann aber gelten ambulant erbrachte Spitexleistungen gegenüber dem Aufenthalt in einem Pflegeheim noch als wirtschaftlich? In einem neueren Entscheid hat das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung zusammengefasst und in einem aktuellen Fall entschieden, dass bis zu drei Mal höhere Kosten wirtschaftlich sein können.


Unstabiler Gesundheitszustand: BG ergänzt und klärt die Rechtsprechung

Ist bei einer (teil)invaliden versicherten Person die Invalidität zeitlichen Schwankungen unterworfen, ohne aber während einer bestimmten Zeitspanne gänzlich zu verschwinden, besteht kein wesentlicher Unterbruch der Invalidität, der einen neuen Versicherungsfall zu begründen vermag. So das Bundesgericht im Urteil 9C_692/2018 (externer Link) vom 19. Dezember 2018.


Wirkt sich die gemischte Methode der IV auf die Ermittlung des Invaliditätsgrades durch die Pensionskasse aus?

In der IV wird der Invaliditätsgrad bei Teilerwerbstätigen mit einem Aufgabenbereich, wie z.B. Haushaltführung und Kinderbetreuung, nach der gemischten Methode berechnet. Seit dem 1.1.2018 gelten dabei neue Grundsätze. Gelten diese nun auch für die Berechnung des Invaliditätsgrades in der beruflichen Vorsorge? Nein, hat das Bundesgericht in gleich drei Urteilen entschieden.


Die korrekte Bestimmung des Valideneinkommens: Nicht immer eine klare Sache

Bei der Berechnung des Invaliditätsgrades kommt der Bestimmung der massgeblichen Einkommen (Validen- und Invalideneinkommen) eine zentrale Bedeutung zu. Die Rechtsprechung hat diverse Regeln herauskristallisiert, um diese zwei Geldwerte zu berechnen. Nun hat das Bundesgericht präzisiert, wie das Valideneinkommen bestimmt werden muss, wenn eine Person eine Umschulung erfolgreich abschliessen und den «neuen» Beruf bis zum Eintritt einer weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben konnte.


Der Bezug einer Hilflosenentschädigung schliesst die Gewährung eines Stipendiums nicht aus

Ein Stipendium darf einer Person nicht einzig aus dem Grund verweigert werden, dass diese eine Hilflosenentschädigung bezieht. Dies geht aus einem Urteil des Genfer Kantonsgerichts hervor. Das kantonale Gesetz sieht zwar vor, dass IV-BezügerInnen keinen Anspruch auf Stipendien haben. Doch dieser Grundsatz gilt nicht für den Bezug einer Hilflosenentschädigung, deren separates Ziel darin besteht, behinderungsspezifische Ausgaben zu decken.


BG bestätigt: Abbruch der Sonderschulbildung einer jungen Frau mit Behinderung unter 20 Jahren ist diskriminierend

Im Rahmen des Rechts auf Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderun-gen garantiert die Interkantonale Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik (Sonderpädagogik-Konkordat) den Anspruch auf sonderpä-dagogische Massnahmen bis zum vollendeten 20. Lebensjahr. Wird die Schulung einer Person mit Behinderungen mit der Begründung vorzeitig abgebrochen, dass ihre Entwicklung ungenügend sei oder sie habe keine Aussichten auf spätere Be-schäftigungsmöglichkeiten, gilt dies als diskriminierend.


«Di-Trizio-ähnliche Konstellation»: Keine Änderung der Bemessungsmethode

Im Februar 2016 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die in der Schweiz geltende Invaliditätsbemessung nach der gemischten Methode als diskriminierend eingestuft. Per 1.1.2018 hat der Bundesrat sodann die Bemessungsmethode angepasst. Das Bundesgericht hat nun entschieden, dass in «Di-Trizio-ähnlichen Konstellationen» weder mittels Revision noch mittels Wiedererwägung eine Änderung der Bemessungsmethode erfolgen darf. Offen bleibt, ob wie Betroffene anlässlich der nächsten Rentenrevision dann doch mit einer Neuberechnung rechnen müssen oder nicht.


Ungedeckte Pflegekosten: Die öffentliche Hand muss die Restkosten übernehmen

Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) regelt die Pflegefinanzierung: Pflegekosten werden von der obligatorischen Krankenversicherung, der versicherten Person sowie der öffentlichen Hand (Kanton oder Gemeinde) getragen (Art 25a). Bisher war aber unklar, wer ungedeckte Restkosten übernehmen muss, wenn die effektiven Pflegekosten allfällige vom Kanton festgelegte Höchstbeträge übersteigen. Das Bundesgericht hat nun entschieden, dass in solchen Fällen die öffentliche Hand leistungspflichtig ist.


Benachteiligung im Adoptionsverfahren

Frau Nufer will die Eignungsbescheinigung zur Adoption erneuern. In der Zwischenzeit erhielt sie die Diagnose MS, weshalb ihr die zuständige Behörde den Adoptionsvorschlag entzog. Sie reichte erfolgreich Beschwerde ein.


Nachteilsausgleich für eine gehörlose Person bei der Wirteprüfung

Bei einer Prüfung benötigt eine gehörlose Person die Unterstützung einer Dolmetscherin oder eines Dolmetschers in Gebärdensprache sowie zusätzliche Prüfungszeit. Gebärdensprache ist nicht mit einer Fremdsprache gleichzusetzen und bedarf eines besonderen Schutzes. Gehörlosigkeit stellt kein Hindernis für die Ausbildung als Gastwirt dar – im Gegensatz zu einer Sehbehinderung bei der Ausbildung zum Piloten.


Berufliche Vorsorge: Kein rückwirkender Gesundheitsvorbehalt

Was ist ein Gesundheitsvorbehalt und wann kann ein solcher angebracht werden? Das Bundesgericht hat in einem neuen Entscheid bestätigt, dass eine Pensionskasse keinen rückwirkenden Gesundheitsvorbehalt anbringen kann. Auch dann nicht, wenn die versicherte Person bei Eintritt in die Pensionskasse unrichtige Angaben zu ihrem Gesundheitszustand gemacht hat.


Corela: Bundesgericht heisst Revisionsgesuch gut – IV muss neue Abklärungen vornehmen

Das Bundesgericht hat das Revisionsgesuch einer Frau gutgeheissen, nachdem ihr gestützt auf ein Gutachten der Klinik Corela rechtskräftig eine IV-Leistung verweigert wurde. Die IV muss nun ein neues Gutachten einholen und neu entscheiden. Der Grund: Die Klinik Corela hatte in verschiedenen Fällen zu Ungunsten der Betroffenen Gutachten angepasst. Der Klinik wurde deshalb ab März 2018 für drei Monate die Betriebsbewilligung entzogen.


IV-Neuanmeldung: Welche Voraussetzungen muss ein «neues» Gutachten erfüllen?

Nicht nur bei den regelmässig stattfindenden Rentenrevisionen, sondern auch im Rahmen einer IV-Neuanmeldung stellt sich die Frage nach einer Veränderung des Gesundheitszustandes. Ärzte und Ärztinnen sowie Gutachter und Gutachterinnen müssen in solchen Fällen spezifisch darlegen, wie sich der medizinische Sachverhalt verändert hat. Tun sie das nicht, fehlt es ihrer Einschätzung am erforderlichen Beweiswert.


Bundesverwaltungsgericht anerkennt in einem Grundsatzentscheid das Heim als Wohnsitz einer Person mit Behinderungen

Eine Institution für Menschen mit Behinderung muss durch den Beistand oder die Beiständin einer urteilsunfähigen Schweizerin als deren Wohnsitz bestimmt werden, solange dieser Wohnsitz tatsächlich als solcher erkennbar ist. Dies mit dem Ziel, den Anspruch auf Niederlassungsfreiheit sowie das Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung zu gewährleisten.


IV-Beschwerdeverfahren: Wann muss ein kantonales Gericht ein Gutachten einholen?

Im Rahmen eines IV-Beschwerdeverfahrens vor den kantonalen Versicherungsgerichten ist in vielen Fällen die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit strittig. Dabei stehen oft die Beurteilungen von Gutachterinnen und Gutachtern denjenigen von behandelnden Ärztinnen und Ärzten gegenüber. Was ist, wenn das Gericht weder von der einen noch von der anderen Beurteilung überzeugt ist? Ist die Sache für ergänzende Abklärungen an die IV-Stelle zurückzuweisen oder ist ein gerichtliches Gutachten anzuordnen?


Zeitliche und materielle Konnexität in der beruflichen Vorsorge: Klärende Urteile

Verschlechtert sich der Gesundheitszustand einer Person nicht plötzlich, sondern allmählich, und hat sie während der Dauer dieses Prozesses bei verschiedenen Arbeitgebern gearbeitet, stellt sich immer wieder die Frage, welche Pensionskasse im Falle einer Invalidität eine Invalidenrente bezahlen muss. Das Bundesgericht hat in mehreren Urteilen seine Rechtsprechung hierzu präzisiert. Wir fassen das Wesentliche zusammen.


Assistenzbeitrag und Ergänzungsleistungen: Kein Zwang zum Arbeitgebermodell

Eine kantonale EL-Stelle darf die Vergütung der Kosten eines begleiteten Wohnens durch die Pro Infirmis nicht mit der Begründung verweigern, dass die betroffene Person ihre Wohnbegleiter selber anstellen und die entstandenen Kosten über den Assistenzbeitrag der IV abrechnen könnte. Dies haben sowohl das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wie nun auch das Bundesgericht deutlich gemacht.


Direkte Auszahlung der IV-Kinderrente an das volljährige Kind

Wer eine IV-Rente bezieht, hat für jedes einzelne seiner Kinder Anspruch auf eine Kinderrente, solange dieses Kind noch nicht volljährig ist. Befindet sich das Kind noch in Ausbildung, besteht der Anspruch auf eine Kinderrente längstens bis zum 25. Altersjahr. Dabei wird der Begriff der Ausbildung weit und umfassend ausgelegt. Das Bundesgericht hat nun entschieden, dass die Kinderrente nicht dem IV-anspruchsberechtigten Elternteil ausbezahlt werden muss, sondern direkt an das mündige Kind geleistet werden kann.


Praxisänderung des Bundesgerichts zur IV-Rente bei Depressionen

Am 30. November 2017 hat das Bundesgericht zwei Urteile zum IV-Rentenanspruch von Personen, die an Depressionen leiden, gefällt: Zum einen erklärte das Bundesgericht das für somatoforme Schmerzstörungen und vergleichbare psychosomatische Leiden massgebende «strukturierte Beweisverfahren» auch für Depressionen als anwendbar. Zum anderen änderte es seine bisherige Praxis, wonach leichte bis mittelschwere Depressionen nur dann als invalidisierend zu betrachten sind, wenn sie erwiesenermassen therapieresistent sind.


Änderung bei der Invaliditätsbemessung nach der gemischten Methode

Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die in der Schweiz geltende Invaliditätsbemessung nach der gemischten Methode als diskriminierend eingestuft hat, hat der Bundesrat die Konsequenzen gezogen: Auf den 1.1.2018 ist das Bemessungssystem angepasst worden. Etliche Personen dürften dadurch einen höheren Invaliditätsgrad erreichen. Dafür soll der für die Invaliditätsbemessung massgebende «Aufgabenbereich» enger definiert werden. Wir fassen im Folgenden die bisherige Entwicklung zusammen, stellen die neue Regelung im Detail vor und weisen auf weitere Konsequenzen des Systemwechsels hin


Agenda 2030: Transformation in eine inklusive Welt

Mit den Millenniums-Entwicklungszielen (Millennium Development Goals, kurz MDG) verbinden politisch interessierte Lesende zumeist einen Katalog von Zielvorgaben im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. 2015 wurden diese von den Zielen der Agenda für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) abgelöst, die bis 2030 erreicht werden sollen. Die «Agenda 2030» (externer Link) geht in verschiedener Hinsicht über die MDG hinaus und erweist sich deshalb insbesondere auch für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in der Schweiz als bedeutungsvoll.


Discobesuch? – Nicht für Jugendlichen mit Sehbehinderung

Wann liegt eine Diskriminierung durch einen Dienstleistungsanbieter vor – wenn er in diskriminierender Absicht handelt oder wenn die Folgen für die betroffene Person diskriminierend sind? Die Rechtsprechung hat diese Frage nicht abschliessend geklärt. Dieser Artikel analysiert die aktuelle Situation in der Schweiz anhand eines Rechtsberatungsfall der Abteilung Gleichstellung von Inclusion Handicap. Einem Jugendlichen mit einer Sehbehinderung wurde der Zutritt zu einer Discothek verwehrt. Es sei für ihn zu gefährlich.


Wann können Pensionskassen Rentenzahlungen zurückfordern?

Invalidenrenten werden nicht nur in der IV, sondern auch in der beruflichen Vorsorge unter bestimmten Voraussetzungen zurückgefordert. Das Bundesgericht hat sich in mehreren aktuellen Urteilen damit auseinandergesetzt. Bei der nachfolgenden Zusammenfassung der Rechtsprechung werden zunächst die für die IV geltenden Grundsätze erläutert, bevor diesen die Regelung im obligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge gegenübergestellt wird.  


Bei der Einschulung hört die Integration auf

Ein Junge mit Trisomie 21 besuchte während drei Jahren integrativ den Regelkindergarten. Bei seiner Einschulung verfügte das Amt für Volksschule des Kantons Thurgau gegen den Willen der Eltern den Eintritt in eine Sonderschule. Der Betroffene gelangte mit seinem Fall bis vor Bundesgericht. Dieses bestätigte nun den Entscheid zur separativen Beschulung (BGer 2C_154/2017 vom 23.05.2017). Eine Würdigung der neusten Rechtsprechung im Bereich der Beschulung von Kindern mit Behinderung.


Erhöhung des Intensivpflegezuschlags der IV ab 2018

Gestützt auf einen parlamentarischen Vorstoss wird der Intensivpflegezuschlag (IPZ) für minderjährige Kinder ab 2018 erhöht und bei der Bemessung eines allfälligen Assistenzbeitrags nicht mehr in Abzug gebracht. Damit werden Familien, die ihre schwerbehinderten Kinder zu Hause pflegen, finanziell wesentlich entlastet.


Hilflosenentschädigung bei Bedarf an lebenspraktischer Begleitung: Neue Weisungen des BSV

Das BSV hat mit Rundschreiben Nr. 365 neue Weisungen an die IV-Stellen formuliert: Einerseits soll der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung wegen Bedarfs an lebenspraktischer Begleitung für Menschen mit einer physischen Beeinträchtigung wieder erleichtert werden, andererseits soll die Schadenminderungspflicht in diesem Bereich generell verschärft werden.


«Reformatio in peius»: Bei mangelhaftem Rückweisungsentscheid ist ein Beschwerderückzug auch nachträglich möglich

Ein kantonales Gericht muss vor einem Rückweisungsentscheid die Gelegenheit zum Rückzug der Beschwerde geben, wenn mit dem Rückweisungsentscheid eine rentenzusprechende Verfügung aufgehoben werden soll (Androhung einer sog. «reformatio in peius»). Unterlässt es das Gericht, der beschwerdeführenden Partei die Rückzugsmöglichkeit zu gewähren, und resultiert letztlich eine Schlechterstellung, kann die ursprüngliche Beschwerde auch noch nachträglich zurückgezogen werden.


Fall Bad Unterrechstein - die Folgen zählen, nicht die Absicht

Das Kantonsgericht Appenzell-Ausserrhoden hat im März dieses Jahres das Urteil zum «Fall Bad Unterrechstein» bekanntgegeben: Es stellte eine Diskriminierung gemäss Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) von Menschen mit Behinderungen fest. Nun liegt die Urteilsbegründung vor. Eine Würdigung des historischen Urteils.


Kommt die IV für diätetische Spezialernährung auf, müssen Krankenkassen dies ab dem 20. Altersjahr übernehmen

Hat die Invalidenversicherung die Kosten von notwendigen diätetischen Spezialnährmitteln bis zum 20. Altersjahr bezahlt, muss die obligatorische Krankenversicherung sie danach übernehmen. Dies auch, wenn die Spezialnährmittel nicht in einer der Listen enthalten sind, welche für die Krankenversicherung massgebend sind. Das Bundesgericht hat mit diesem Urteil die Koordination zwischen Invaliden- und Krankenversicherung präzisiert (BGE 142 V 425 (externer Link)).


IV-Rentenanspruch entsteht auch bei Verschlechterung des Gesundheitszustands erst 6 Monate nach Anmeldung

Damit sich arbeitsunfähige Personen frühzeitig bei der IV anmelden und Eingliederungsmassnahmen rasch eingeleitet werden können, ist in der 5. IVG-Revision eine neue Bestimmung ins Gesetz aufgenommen worden. Gemäss dieser entsteht der Rentenanspruch frühestens 6 Monate nach der Anmeldung. Diese Bestimmung führt nun aber in einzelnen Situationen dazu, dass Versicherte ihre materiell an sich zustehende Rente während einer gewissen Zeit verlieren, selbst wenn sie sich rechtzeitig anmelden. Das Bundesgericht will daran nichts ändern.


Erwerbstätige im AHV-Alter haben weiterhin Anspruch auf eine gute Hörgeräteversorgung

Menschen mit einer Hörbehinderung, die nach Erreichen des AHV-Alters weiterhin erwerbstätig sind, profitieren von der Besitzstandsregelung: Wenn Sie bereits von der IV ein Hörgerät erhalten haben, bleibt ihr Anspruch aufgrund der Besitzstandsgarantie in Umfang der IV-Regelung erhalten. Dieser Anspruch umfasst auch den Anspruch auf ein besseres Hörgerät, wie es die IV in «Härtefällen» gewährt. So hat das Bundesgericht kürz-lich in einem Urteil vom 11.4.2017 entschieden.


BVG: Voraussetzungen der Vorleistungspflicht der letzten Pensionskasse

Sind der Beginn und der Verlauf der Arbeitsunfähigkeit unklar und wechselte die betroffene Person im massgebenden Zeitraum den Arbeitgeber, ist oft strittig, welche Pensionskasse zur Ausrichtung einer Invalidenrente zuständig ist. In solchen Fällen trifft diejenige Pensionskasse, der die versicherte Person zuletzt angehört hat, eine Vorleistungspflicht im Umfang der obligatorischen Leistungen. Aufgrund eines Bundesgerichtsurteils ist nun klar, dass für diese Vorleistungspflicht ein grundsätzlicher Anspruch auf Invalidenleistungen aus der beruflichen Vorsorge und nicht bloss die theoretische Möglichkeit gegeben sein muss.


Bei Arbeitslosenkasse und IV angemeldet: Wer zahlt wie lange? Neues Urteil des Bundesgerichts

Meldet sich eine Person sowohl bei der IV als auch bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an, muss die Arbeitslosenversicherung solange Vorleistungen im vollen Umfang erbringen, bis die IV im Rahmen eines Rentenentscheids über den Grad der verbleibenden Erwerbsfähigkeit entschieden hat. Das Bundesgericht hat nun entschieden, dass die Arbeitslosenkasse ihre Leistungen nicht in jedem Fall bereits ab dem IV-Vorbescheid kürzen darf.


Erwachsenenschutzrecht: Erfreuliche Empfehlungen der KOKES

Die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutzrecht KOKES hat Ende 2016 in enger Zusammenarbeit mit Behindertenorganisationen Empfehlungen erarbeitet. Diese äussern sich zur Frage, in welchen Fällen eine Beistandschaft errichtet werden soll, wann Angehörige als Beistände einzusetzen sind und in welchem Ausmass sie von Rechenschaftspflichten entbunden werden sollen. Es bleibt zu hoffen, dass diese auf einer Grundlage des Respekts und Vertrauens erarbeiteten Empfehlungen konsequent umgesetzt werden.


Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen: Historisches Urteil

Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) ist seit 2004 in Kraft. Es dauerte jedoch bis im März 2017, bis erstmals eine Diskriminierung nach Art. 6 festgestellt wurde: Ein Bad hatte Kindern mit Behinderungen den Zugang verweigert. Die Klage wurde von Behindertenverbänden eingereicht, die von Inclusion Handicap fachlich unterstützt wurden. Der Fall zeigt die grosse Bedeutung des Verbandklagerechts.


Urteile des EGMR im Bereich Sozialversicherungen und ihre Umsetzung in der Schweiz

Im Jahr 2016 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zwei wegweisende Urteile. Eines betrifft die Invaliditätsbemessung nach der gemischten Methode in der Invalidenversicherung und das andere die Observationen durch Unfallversicherungen. Die Schweiz hat diese Urteile nun umzusetzen. Hier informieren wir, wie die Umsetzung vorankommt.


Revision des Unfallversicherungsgesetzes

Das seit 1984 bestehende Unfallversicherungsgesetz wird auf den 1.1.2017 erstmals einer grösseren Revision unterzogen: Versicherungslücken werden geschlossen, Kürzungen bei den Invalidenrenten im AHV-Alter eingeführt und weitere Anpassungen gestützt auf die Rechtsprechung vorgenommen. Die Revision entspricht einem breiten Kompromiss zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und Versicherern.


Bundesgericht: IV-Anlehren dauern grundsätzlich 2 Jahre

Gestützt auf ein Rundschreiben des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) aus dem Jahre 2011 erteilten die IV-Stellen regelmässig nur für 1 Jahr Kostengutsprachen zur Absolvierung einer IV-Anlehre. Gesuche um Verlängerung um ein 2. Ausbildungsjahr wurden oft abgewiesen. Nun hat das Bundesgericht diese Praxis als unzulässig beurteilt und entschieden, dass IV-Anlehren grundsätzlich 2 Jahre dauern.


EGMR: Nichtzulassung zum Konservatorium einer blinden Schülerin verletzt das Diskriminierungsverbot

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte neulich einen Fall aus der Türkei zu beurteilen, bei dem sich eine Schülerin mit einer starken Sehbehinderung trotz bestandener Aufnahmeprüfung nicht ins Konservatorium einschreiben durfte. Das Gericht stellte im ergangenen Urteil eine Verletzung des Diskriminierungsverbots sowie des Rechts auf Bildung fest.


Nachteilsausgleich und Lernzielanpassung – ein entscheidender Unterschied. Ein Fallbeispiel

Eine Schülerin mit einer Lese- und Rechtschreibschwäche darf trotz knapp verfehltem Notenschnitt das Gymnasium besuchen. Die Bezirksschule hatte ungerechtfertigter Weise den Nachteilsausgleich unterlassen. Ein Fallbeispiel aus der Rechtsberatung der Abteilung Gleichstellung von Inclusion Handicap.


Scheidung: Neue Regelung des Vorsorgeausgleichs ab 2017

Für die Aufteilung der Pensionskassenguthaben bei einer Scheidung und bei einer gerichtlichen Auflösung der eingetragenen Partnerschaft gelten ab 1.1.2017 neue Regeln. Damit werden gewisse nach bisherigem Recht entstehende Benachteiligungen beseitigt. Die neuen Regelungen bringen aber auch Veränderungen für Personen mit sich, die bei einer Scheidung bereits eine Invalidenrente der Pensionskasse beziehen.


Krankenkasse muss die Kosten der nächtlichen Überwachung eines Beatmungsgeräts übernehmen

Die Krankenversicherer müssen die Rechnungen für die nächtliche Überwachung eines Beatmungsgeräts übernehmen, falls diese eine stete Aufmerksamkeit der Spitex-Fachkraft während der ganzen Überwachungsdauer erfordert. Sie dürfen zudem ihre Leistungen nicht mit Hinweis auf die fehlende Wirtschaftlichkeit der Spitex-Pflege kürzen, wenn es an einer zweckmässigen Alternative fehlt. So hat das Bundesgericht in einem Urteil vom 11. Februar 2016 entschieden.


Ergänzungsleistungen: Wer unverheiratet in einer Wohngemeinschaft lebt, gilt als alleinstehend

Bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen sind unverheiratete Personen, die in einer Wohngemeinschaft leben, als «alleinstehend» zu qualifizieren Es ist ihnen für den allgemeinen Lebensbedarf ein Betrag von jährlich 19‘290 Franken anzurechnen. Das Bundesgericht hat in diesem Sinne eine Beschwerde gegen einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen gutgeheissen.


Verweigerung der Kostenübernahme einer Privatschulung verletzt Recht auf Bildung

Bietet die öffentliche Schule keine den Fähigkeiten und Einschränkungen eines Kindes mit Behinderungen angepasste Schulung an, muss der Staat die Kosten einer angemessenen Privatschulung übernehmen. Ein Entscheid aus der Beratungspraxis von Inclusion Handicap, der einen ausführlichen und die Kostenübernahme befürwortenden Bericht ohne Begründung ausser Acht lässt, verletzt das Recht auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht.


Wegen diffusen Sicherheitsargumenten den Saunabesuch verweigert

Herr Born benötigt zur Fortbewegung aufgrund einer Krankheitsbehinderung einen Rollstuhl. Er kann lediglich einige wenige Schritte mit Hilfe von Krücken gehen. Seit längerer Zeit besucht er regelmässig die Sauna in einem Sportzentrum. Plötzlich verweigern ihm die Verantwortlichen die Benutzung des vorhandenen Duschrollstuhls, mit Hinweis auf diffuse Sicherheitsargumente. Er gefährde sich selber und andere Benutzer.


Hilflosenentschädigung: Wann kann eine dauernde persönliche Überwachung bei Kindern berücksichtigt werden?

In einem neueren Urteil hat das Bundesgericht festgehalten, dass eine dauernde persönliche Überwachung nicht von Medizinalpersonen erbracht werden muss, um für den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung berücksichtigt zu werden. Zudem hat es entschieden, dass die vom BSV in seinem Kreisschreiben festgehaltenen Altersgrenzen für die Anrechnung eines Überwachungsbedarfs nur einen Orientierungswert darstellen und nicht in jedem Fall absolut anwendbar sind.


Invaliditätsbemessung bei Teilerwerbstätigen: Das Bundesgericht verschärft die bisherige Praxis

Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung zur Invaliditätsbemessung bei Teilerwerbstätigen, die nicht zusätzlich einem anerkannten «Aufgabenbereich» nachgehen, erheblich verschärft. Leidtragende dürften wieder einmal in erster Linie Frauen sein. Künftig wird es Personen geben, die selbst bei schwerster Behinderung keinen Anspruch mehr auf eine IV-Rente erwerben können.


Ausserordentliche Renten der IV: Neue Urteile des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hat in zwei Urteilen einerseits seine Rechtsprechung zum Anspruch von Ausländerinnen und Ausländern auf ausserordentliche Renten der IV präzisiert und andererseits bestätigt, dass diese Renten in keinem Fall mehr exportiert werden können.


Kürzung von Invalidenleistungen in der beruflichen Vorsorge wegen Überentschädigung

Die Pensionskassen können ihre Invalidenrenten kürzen, wenn diese zusammen mit den Invalidenrenten der IV, der Unfallversicherung und der Militärversicherung sowie anderen anrechenbaren Leistungen zu einer Überentschädigung führen. In den letzten Jahren hat das Bundesgericht eine ganze Reihe von Urteilen zur Überentschädigungsfrage gefällt. Wir fassen das Ergebnis der Rechtsprechung zusammen.


EGMR: Gemischte Methode der Invaliditätsbemessung ist diskriminierend

In einem aufsehenerregenden Urteil ist der EGMR zum Schluss gelangt, dass die Anwendung der gemischten Methode bei der Invaliditätsbemessung durch die IV das Diskriminierungsverbot von Art. 14 der Menschenrechtskonvention in Verbindung mit dem Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens von Art. 8 EMRK verletzt. Er hat deshalb eine Beschwerde aus der Schweiz gutgeheissen.