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Assistenz im AHV-RentenalterUntersuchung des Büro BASS

Untersuchung im Auftrag der Schweizer Paraplegiker Stiftung SPS zu Auswirkungen und Szenarien zur Gewährung von Assistenzleistungen im AHV Alter

Jürg Guggisberg, Livia Bannwart, Tabea Kaderli, BASS AG (2018; 2022)

Management Summary

Seit dem Inkrafttreten der 6. IVG-Revision am 1. Januar 2012 können zu Hause wohnende, handlungsfähige Erwachsene, die das AHV-Rentenalter noch nicht erreicht haben und eine Hilflosenentschädigung (HE) aus der IV beziehen, einen Assistenzbeitrag beantragen. Das primäre Ziel dieses Instruments der Invalidenversicherung ist gemäss der Botschaft 10.032 vom 24. Februar 2010 die Förderung der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung von Menschen, welche auf Assistenz angewiesen sind.

Die Schweizer Paraplegiker Stiftung (SPS) hat das Büro BASS mit einer Untersuchung zum Thema «Gewährung eines Assistenzbeitrags im AHV-Rentenalter» beauftragt. Die politische Forderung, die mit dem Mandat verbunden ist, ist die Einführung eines Assistenzbeitrags unabhängig vom Alter, d.h. ein Assistenzbeitrag soll auch nach Erreichen des AHV-Rentenalters geltend gemacht werden können. Im Grundsatz soll damit der Zugang zu Assistenzleistungen analog zu den Assistenzleistungen der IV gewährleistet werden.

Mit dem Mandat wird primär geklärt, wie viele Anspruchsberechtigte theoretisch von der neuen Regelung profitieren könnten (Mengengerüst) und mit welchen Kosten für eine solche neue Regelung auf den beiden föderalen Ebenen Bund und Kantone und den verschiedenen Kostenträgern (AHV, EL, KVG, etc.) zu rechnen ist. Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung werden im Folgenden in ihren Grundzügen ausgeführt.

Schätzungsweise 28‘500 AHV-Rentnerinnen und Rentner mit Anspruch auf Assistenz AHV

Wie viele Personen im AHV-Rentenalter könnten theoretisch einen Assistenzbeitrag geltend machen? In Analogie zur Assistenz-IV wären dies alle in einem Privathaushalt lebenden AHV-Rentnerinnen und Rentner, die eine Hilflosenentschädigung leichten, mittleren oder schweren Grades beziehen. Diese Zahl ist jedoch in keiner Statistik festgehalten. Basierend auf einer Schätzung, die auf gewissen Annahmen beruht, kann erwartet werden, dass von den knapp 61‘000 AHV-Rentnerinnen und Rentner mit einer HE (BSV 2016) rund 28‘500 Personen in einem privaten Haushalt leben, womit sie grundsätzlich für den Bezug eines Assistenzbeitrags berechtigt wären. Die restlichen 32‘500 Personen mit HE leben dementsprechend in einem Alters- und Pflegeheim. Die Grundlage für diese Schätzung bildet einerseits die Statistik der sozialmedizinischen Institutionen (SOMED 2016) sowie die Statistik zu Ergänzungsleistungen zur AHV des Bundesamts für Sozialversicherungen BSV. Basierend auf diesen beiden Statistiken lässt sich die Gesamtzahl der zu Hause lebenden HE-Beziehenden im Rentenalter abschätzen. Von den so ermittelten zu Hause lebenden rund 28‘500 Personen im AHV Alter mit Hilflosenentschädigung dürften etwas mehr als die Hälfte (55%; 15‘650) eine leichte HE beziehen, etwas weniger als ein Drittel (29%; 8‘180) eine mittlere und rund ein Sechstel (16%; 4670) eine schwere.

Bei gleicher Inanspruchnahme wie bei der Assistenz IV würden mit 2‘750 Personen knapp 10 Prozent aller anspruchsberechtigten AHV-Rentnerinnen und Rentner eine Assistenz AHV beziehen.

Erfahrungswerte aus der Assistenz zur IV haben aufgezeigt, dass bei Weitem nicht alle anspruchsberechtigten HE-Beziehenden tatsächlich einen Assistenzbeitrag beziehen. Mit zunehmendem Schweregrad der Hilflosigkeit nimmt die Inanspruchnahme zu. Von den anspruchsberechtigten IV-Bezügerinnen und Bezüger mit leichter HE beziehen rund 5 Prozent einen Assistenzbeitrag, bei einer mittleren HE sind es 10% und bei einer schweren HE rund 25 Prozent. Werden diese Erfahrungswerte auf die geschätzt 28‘500 an-spruchsberechtigten AHV-Rentnerinnen und Rentner übertragen, resultieren rund 780 Assistenzbeziehende AHV-Rentnerinnen und Rentner mit leichter HE, 820 mit mittlerer HE und 1‘170 mit schwerer HE. Im Total ergibt dies 2‘750 zu Hause lebende assistenzbeziehende AHV-Rentnerinnen und Rentner.

Mit gleichen durchschnittlichen Kosten pro Assistenzbezüger/in wie bei der Assistenz IV würden pro Jahr aus der AHV rund 79 Mio. Franken an Assistenzgeldern ausbezahlt

Erfahrungswerte aus der Assistenz zur IV haben aufgezeigt, dass die durchschnittlichen Kosten für Assistenzleistungen mit zunehmendem Schweregrad der Hilflosigkeit zunehmen. Im Durchschnitt beträgt der in Anspruch genommene Assistenzbeitrag für Assistenzbeziehende IV mit leichter HE pro Jahr 10‘080 Franken, mit mittlerer HE 19‘800 Franken und mit schwerer HE 45‘560 Franken pro Jahr. Werden diese Durchschnittswerte mit der geschätzten Anzahl Assistenzbeziehender AHV ausmultipliziert, resultieren für Bezügerinnen und Bezüger mit einer leichten HE 8 Mio. Franken pro Jahr, 16 Mio. Franken pro Jahr mit mittlerer HE und 54 Mio. Franken pro Jahr mit schwerer HE. Zusammen ergibt dies geschätzte Kosten von 79 Mio. pro Jahr.

Eine Einführung von Assistenz AHV führt zu Mehrkosten beim Bund. Die Kantone werden dann entlastet, wenn die Assistenzleistungen zu einer Verzögerung oder Vermeidung von Heimeintritten führen.

Pflegebedürftige AHV-Rentnerinnen und Rentner, die zu Hause wohnen, werden neben der Ausrichtung der HE i.d.R. nur dann von der öffentlichen Hand unterstützt, wenn sie Ergänzungsleistungen beziehen. Die HE finanziert der Bund und an den EL-Kosten beteiligen sich der Bund zu ⅝ und die Kantone zu ⅜. Ein Heimeintritt kann häufig nicht selber finanziert werden, wodurch die nicht gedeckten Kosten zum grossen Teil vom Kanton übernommen werden müssen. Der Bund beteiligt sich seit der ab 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) nur noch marginal an den Heimkosten. Weil der Bund an allfälligen Kosteneinsparungen durch eine Verzögerung oder eine Vermeidung von Heimeintritten kaum beteiligt ist, führt die Einführung eines Assistenzbeitrags zur AHV beim Bund zu Mehrkosten, wogegen die Kantone durch allenfalls resultierende Einsparungen bei den Heimkosten entlastet würden. Im Rahmen der Einführung der Assistenz zur IV wurde dementsprechend eine Gegenfinanzierung eingebaut, indem die Hilflosenentschädigung zur IV bei Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern halbiert wurde. In wieweit eine Gegenfinanzierung bei einer Einführung einer Assistenz zur AHV auch möglich wäre, war nicht Gegenstand des Mandats und müsste noch detailliert abgeklärt werden. Könnte bei den mittels den Erfahrungswerten aus der Assistenz zur IV prognostizierten 2'750 Personen durch die Assistenz ein Heimeintritt verhindert werden, würde dies bei den Kantonen zu Minderkosten bei der EL von geschätzten 104 Mio. Franken führen. Für Bund und Kantone resultiert in der Gesamtbilanz dann eine Kosteneinsparung von rund 28 Mio. Franken, wenn mit der Assistenz ein Heimeintritt tatsächlich verhindert werden kann.

Besitzstandwahrung Assistenz-IV

Nicht enthalten in den durchgeführten Modellrechnungen sind die Kosten für den Bund, die für die «Besitzstandwahrung» von Assistenz IV zu Assistenz-AHV anfallen. Personen, die bis zum Erreichen des Rentenalters einen Assistenzbeitrag der IV bezogen haben, erhalten diesen in der AHV in gleicher Höhe (Art. 43bis Abs. 4 AHVG). Die Höhe des Beitrags wird dabei auf dem Bedarf beim Übertritt ins AHV-Rentenalter eingefroren (sog. Besitzstand, vgl. Art. 43ter AHVG). Stand 2016 dürfte es sich dabei geschätzt um 4.15 Mio. Franken an Assistenz im AHV-Alter handeln. Bei diesen Kosten handelt es sich jedoch nicht um zu-sätzliche Kosten, weil diese durch die auf den 1.1. 2012 in Kraft getretenen Regelungen der 6. IVG-Revision anfallen und nicht durch allfällige neue Regelungen in Zusammenhang mit einer Einführung Assistenz-AHV.