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Parlament darf BehiG nicht aushebelnRevision Eisenbahngesetz

Bern, 11.09.2023 - Wenn der Nationalrat in der Herbstsession die vom Bundesrat vorgeschlagene Revision des Eisenbahngesetzes nicht korrigiert, hebelt er das im Behindertengleichstellungsgesetz festgeschriebene Recht auf Autonomie und das Verbandsbeschwerderecht faktisch aus. Für Menschen mit Behinderungen mit drastischen Folgen: Die autonome Benutzbarkeit von Zügen könnte von den Verbänden nicht mehr eingefordert werden. Eine düstere Perspektive – vor allem, da zuletzt klar wurde, dass das BehiG im ÖV nur ungenügend umgesetzt wird.

Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) räumt den Behindertenorganisationen das Verbandsbeschwerderecht bei Bewilligungen von Zügen durch das Bundesamt für Verkehr (BAV) ein. Zweck des Verbandsbeschwerderechts ist die Kontrolle über die Einhaltung des BehiG. Das BehiG gibt Menschen mit Behinderungen grundsätzlich das Recht, den öffentlichen Verkehr autonom zu nutzen. Eben dieses Behindertengleichstellungsgesetz droht nun durch einen Parlamentsentscheid kompromittiert zu werden. Mit der Revision des Eisenbahngesetzes soll ein Grossteil der Schweizer Züge («interoperable» Züge wie z.B. der FV-Dosto) zukünftig nicht mehr vom BAV, sondern von der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA) bewilligt werden. 

Autonomie-Prüfung nicht mehr gewährleistet

Im Gegensatz zum BehiG gewährleistet das EU-Recht die Autonomie von Menschen mit Behinderungen nicht. Entsprechend hat die ERA auch nicht die Aufgabe, zu kontrollieren, ob Menschen mit Behinderungen den Zug autonom nutzen können. Das BAV behauptete in diesem Zusammenhang, in Zukunft auch bei Betriebsbewilligungen durch die ERA zu prüfen, ob die Anforderungen an die Behindertengerechtigkeit gegeben sind (Tagesanzeiger vom 13.06.2023). Dies stimmt jedoch nicht. Das BAV prüft lediglich die Einhaltung von Schweizer Normen wie der Spaltenbreite und der Niveaudifferenz. Gemäss Bundesgericht (Urteil vom 22.12.2021) muss auch bei Erfüllung der Normen geprüft werden, ob die Züge von Menschen mit Mobilitätsbehinderungen in der Praxis so weit wie möglich autonom und sicher benutzt werden können. Deshalb braucht es nach wie vor eine zusätzliche Kontrolle durch das Bundesamt für Verkehr, um das Behindertengleichstellungsrecht in der Schweiz einzuhalten. Ist dies nicht vorgesehen, können die Behindertenverbände auch keine entsprechenden Entscheide des Bundesamts anfechten.

Nationalrat muss Kommissionsminderheit Gehör schenken

Mit der vorgesehenen Revision des Eisenbahngesetzes würde die Schweiz eigenes Recht aushebeln. Bisher bereitete dies dem Parlament jedoch erstaunlich wenig Kopfzerbrechen. Eine Minderheit der nationalrätlichen Verkehrskommission wird nun jedoch aktiv. Sie verlangt, dass eine zusätzliche Prüfung durch das BAV in Bezug auf das Schweizer Behindertengleichstellungsrecht im Schweizer Eisenbahngesetz verankert wird. Eine Forderung, die Inclusion Handicap entschlossen stützt. Denn ohne zusätzliche Überprüfung werden der Rechtsschutz von Menschen mit Behinderungen und deren Recht auf autonome Nutzung des öffentlichen Verkehrs massiv geschwächt. Der ernüchternde Standbericht des BAV (externer Link) zur Umsetzung des BehiG im ÖV zeigte es: Nimmt die Schweiz die UNO-Behindertenrechtskonvention sowie den Bundesgerichtsentscheid vom 22.12.2021 zur Autonomie im ÖV (Bger Dosto) und damit die Anliegen der 1.7 Millionen Menschen mit Behinderungen in der Schweiz ernst, kann sie sich diese Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts schlicht nicht leisten.

Auskunft

Maya Graf, Co-Präsidentin Inclusion Handicap und Ständerätin Grüne BL
079 778 85 71

Caroline Hess-Klein, Abteilungsleiterin Gleichstellung Inclusion Handicap
076 379 94 72 /