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Handicap und Politik 04/2023

Handicap und Politik 04/2023

In Handicap und Politik 04/2023: Der Rückblick auf die Sommersession, die Forderung nach Prävalenzstudien zur Gewaltbetroffenheit von Menschen mit Behinderungen – und Erfolge im Rahmen der strategischen Prozessführung.


Rückblick auf die Sommersession

Ständerat befürwortet besseren Diskriminierungsschutz bei Triageentscheidungen

Bei Ressourcenknappheit auf Intensivstationen muss die Ärzteschaft eine Triage vornehmen. Insbesondere für Menschen mit Behinderungen besteht das Risiko, bei der Verteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen benachteiligt zu werden. Am 30.5.2023 ist der Ständerat seiner Kommission gefolgt und hat das Postulat 22.3496 mit 36 zu 1 Stimmen überwiesen. Damit wird der Bundesrat beauftragt zu prüfen, wie gesetzlich sichergestellt werden kann, dass Menschen mit Behinderungen bei Triageentscheidungen nicht mehr diskriminiert werden. Wegbereitend für das Postulat war eine Motion von Maya Graf, Co-Präsidentin von Inclusion Handicap und Ständerätin (Grüne/BL). Inclusion Handicap hatte sich im Vorfeld unter anderem anlässlich von Anhörungen für eine gesetzliche Regelung stark gemacht und begrüsst den Entscheid des Ständerates. 


Einstimmiger Entscheid gegen ungerechtfertigte Kürzung der Hilflosenentschädigung!

Die Hilflosenentschädigung wird nicht mehr gekürzt, wenn Kinder zur Entlastung der Eltern einzelne Nächte in externen Betreuungsangeboten verbringen und die hierfür anfallenden Kosten von den Eltern und nicht von der öffentlichen Hand getragen werden. Nach dem deutlichen Ja des Nationalrats in der letzten Wintersession, hat der Ständerat nun nachgezogen – und zwar einstimmig. Gemäss der Online–Publikation des Bundesamts für Sozialversicherungen «Soziale Sicherheit CHSS (externer Link)» wird die Motion nun umgehend im Rahmen einer Weisungsanpassung umgesetzt. Aus Gründen der Rechtssicherheit soll die neue Regelung zudem in die Invalidenversicherungsverordnung aufgenommen werden.


Keine nationale Strategie für Betreuung und Wohnen im Alter und bei Behinderung

Die von Mathilde Crevoisier Crelier (SP/JU) von der zurückgetretenen Marina Carobbio Guscetti (SP/TI) übernommene Motion 23.3222 hatte eine nationale Strategie für die Betreuung und das Wohnen im Alter und bei Behinderung verlangt. Nachdem die Vorlage im Nationalrat noch erfolgreich war, wurde sie nun vom Ständerat abgelehnt. Allerdings ist im Nationalrat die gleichlautende Motion von Christine Bulliard-Marbach (Die Mitte/FR) noch hängig. Inclusion Handicap unterstützt weiterhin die Anliegen der Motionen und fordert, den betroffenen Menschen beim Wohnen eine echte Wahlmöglichkeit zu bieten.


Verbandsbeschwerderecht weiterhin auf der Kippe

Der Ständerat hat es verpasst, die vom Bundesrat vorgeschlagene Revision des Eisenbahngesetzes zu korrigieren. Die Vorlage sieht vor, dass Züge, die auch ins Ausland fahren, künftig nicht mehr vom Bundesamt für Verkehr BAV, sondern ausschliesslich von der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA) bewilligt werden. Im Gegensatz zum Schweizer Behindertengleichstellungsrecht gewährleistet das EU-Recht die Autonomie von Menschen mit Behinderungen nicht. Entsprechend hat die ERA auch nicht die Aufgabe zu kontrollieren, ob Menschen mit Behinderungen den Zug autonom nutzen können. Durch die Vorlage ist nicht nur das autonome Reisen von Menschen mit Behinderungen gefährdet – auch das Verbandsbeschwerderecht der Behindertenverbände würde ausgehebelt (siehe auch Medienmitteilung vom 13.06.2023). Nun geht das Geschäft in die Verkehrskommission des Nationalrats. Inclusion Handicap ist zur Anhörung eingeladen und wird dort seine Positionen noch einmal in der notwendigen Deutlichkeit erklären.


Weiterhin kein Export ausserordentlicher IV-Renten bei Wohnsitz im Ausland

Die parlamentarische Initiative von Stefan Engler (EVP/GR) forderte, dass Personen mit einer Geburts- oder Frühbehinderung ihre ausserordentlichen IV-Renten auch dann ausgerichtet erhalten, wenn sie ins Ausland ziehen. Bedauerlicherweise wurde der Vorstoss vom Ständerat aber abgelehnt. Inclusion Handicap bedauert dies, denn für Betroffene ist es nicht nachvollziehbar, dass ihre ausserordentlichen IV-Renten bei einem Wohnsitzwechsel ins Ausland eingestellt werden – dies im Gegensatz zu den ordentlichen IV-Renten mit ihrer weit grosszügigeren Exportmöglichkeit. Im Nationalrat ist noch eine ähnlich lautende Motion von Barbara Gysi (SP/SG) hängig. Das Thema ist also noch nicht ganz vom Tisch. 


Gleichstellung

Konkretere Prävalenzstudien zu Gewalt an Menschen mit Behinderungen gefordert

Der Bundesrat betont in seinem Bericht zum Postulat von Franziska Roth (SP/SO), dass Menschen mit Behinderungen in Zukunft besser vor Gewalt geschützt werden sollen und definiert eine Reihe von Massnahmen. Inclusion Handicap unterstützt die Empfehlungen grundsätzlich. Wie Inclusion Handicap bekannt ist, werden im Rahmen des Postulatsberichts aber lediglich bereits vorhandene Daten zusammengetragen und Lücken diagnostiziert. Gemäss internationaler aber auch Schweizer Datenlage (siehe dazu auch Studie der HfH (externer Link)) ist Gewalt an Menschen mit Behinderungen aber verbreitet. Mit einer aktuell geplanten Erarbeitung der allgemeinen Prävalenzstudie zu Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt durch das BFS im Auftrag des EBG, würde die konkrete Möglichkeit bestehen, Daten zur Gewaltbetroffenheit von Menschen mit Behinderungen zu erheben. Vor diesem Hintergrund ersuchte Inclusion Handicap den Bund in einem Brief, das Kriterium der Behinderung systematisch in die Prävalenzstudie aufzunehmen.


Sozialversicherungen

Tabellenlöhne: Inclusion Handicap fordert Pauschalabzug von 17 %

Bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades wird in vielen Fällen auf statistische Werte (Tabellenlöhne) abgestellt. Einkommensmöglichkeiten von Personen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung werden damit aber überschätzt und es resultieren deutlich zu tiefe Invaliditätsgrade. Der Bundesrat will die Tabellenlöhne nun pauschal um 10 % reduzieren. Für Inclusion Handicap ist das zu wenig, denn nur mit einem Abzug von 17 % und mit der Möglichkeit zusätzlicher individueller Abzüge resultieren realistische Einkommensmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen. Genau das fordert Inclusion Handicap auch in einer am 31. Mai eingereichten Vernehmlassungsantwort, in der der Dachverband auf eine Studie des Büros Bass verweist. Mehr dazu in der Medienmitteilung vom 31. Mai. 2023.


Trends in IV-Statistik setzen sich fort

Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat die jährlich erscheinende IV-Statistik publiziert: 2022 entrichtete die Invalidenversicherung (IV) Leistungen an 453 000 Personen. Grösster Ausgabenteil bildeten dabei weiterhin die Renten (56 %). Der Anteil der IV-Rentenbeziehenden an der versicherten Bevölkerung liegt seit 2018 konstant bei 4,0 %. 2005 betrug der Anteil noch 5,3 %. Gleichzeitig sank die Neurentenquote auf 3,1 % und damit wieder auf das Niveau von 2020. Der Anteil der Rentenbeziehenden mit einer psychischen Beeinträchtigung steigt kontinuierlich an. Die am 1. Januar 2022 in Kraft getretene IV-Weiterentwicklung mit dem Fokus auf Jugendliche und Erwachsene mit einer psychischen Erkrankung wird diesen Trend hoffentlich stoppen. Das Betriebsergebnis der IV war mit -0.3 Milliarden leicht negativ.


Politische Vorhaben

Inklusions-Initiative nimmt Fahrt auf

Bereits über 25'000 Menschen unterstützen die Forderungen der Inklusions-Initiative. Damit wir sicher auf die benötigten 100'000 Unterschriften kommen, müssen wir aber weiterhin jede Gelegenheit zum Sammeln wahrnehmen. Besonders jetzt im Sommer bieten sich viele Möglichkeiten: an Wochenmärkten, spontan auf der Strasse oder an Events. Am 9. September 2023 findet dann das nächste Highlight der Sammelkampagne statt: Der nationale Sammeltag! Weitere Informationen folgen im nächsten Newsletter.

Hinweis: Damit die Unterschriften auch sicher gültig sind, unbedingt folgendes beachten: Immer abklären, ob die Unterschreibenden volljährig und in der Schweiz stimmberechtigt sind sowie was ihre politische Gemeinde ist. Weitere Infos und Tipps zudem auf der Website www.inklusions-initiative.ch/sammeltipps (externer Link)


Projekt strategische Prozessführung

Ist Chancengleichheit nur ein leeres Versprechen?

Inclusion Handicap vertritt eine junge Frau vor Gericht, die der Universität Bern Diskriminierung beim Zugang zur Hochschulbildung vorwirft. Ihr wurde der Zeitzuschlag, auf den sie als Folge ihrer Dyslexie angewiesen ist, bei der Numerus clausus-Zulassungsprüfung für das Studium der Veterinärmedizin verweigert. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern ist zum Schluss gekommen, dass kein rechtlicher Anspruch auf diesen Zeitzuschlag besteht. Inclusion Handicap stellte jedoch fest, dass bei dieser Frage keine Einstimmigkeit herrscht und hat das Urteil im Rahmen seines Projekts der strategischen Prozessführung an das Bundesgericht weitergezogen. Gleichzeitig hat Inclusion Handicap in enger Zusammenarbeit mit der Klientin Medienarbeit geleistet, was zu zahlreichen und weitgehend sehr positiven Medienberichten geführt hat.


Erfolg: Genfer Gerichtshof bestätigt Diskriminierung bei der Anstellung

In einem zweiten Fall im Rahmen der strategischen Prozessführung konnte Inclusion Handicap einen Erfolg vor dem Genfer Cour de justice erzielen. Dieser heisst im Anschluss an ein Urteil des Bundesgerichts die Beschwerde einer jungen Mutter gut. Das Gericht anerkennt, dass die Frau von ihrem kantonalen Arbeitgeber aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Behinderung mehrfachdiskriminiert wurde. Der Gerichtshof spricht ihr den im Gesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann vorgesehenen Höchstbetrag zu. Inclusion Handicap ist erfreut über dieses klare Signal an die Arbeitgeber, die aufhören müssen, Menschen mit Behinderung zu diskriminieren. Die Medienarbeit von Inclusion Handicap hat auch in diesem Fall zu mehreren Medienartikeln geführt. Lesen Sie in unserem Medienspiegel mehr dazu (Artikel in französischer Version des Medienspiegels abrufbar).


Medienspiegel

Ausgewählte Medienbeiträge mit Inclusion Handicap.